Stets tun sich in den Bildern von Matthias Meyer weite Perspektiven auf. Sie lassen den Blick durch ineinander verschachtelte Stadtlandschaften schweifen oder über Gewässer zu einem unendlich erscheinenden Horizont gleiten. Der Standpunkt des Betrachters ist so gut wie nie im Bild verankert. In seinen Architekturdarstellungen sehen wir meist von einer erhöhten Warte aus auf Gebäude, die sich in einem Nebel und einem Gerinnsel von Farben nur andeutungsweise konkretisieren. Die fliehenden, sich auflösenden Formen sind dabei nicht unbedingt, wie etwa in Filmen und Fotografien der 1920er Jahre, symbolhaft für den schnellen Rhythmus pulsierender Metropolen zu verstehen. Vielmehr ist man an vorbeihuschende Bilder erinnert, wie sie beim Blick aus dem Fenster fahrender Züge oder Autos wahrgenommen werden.
Trotz des stimmungsvollen Assoziationsreichtums, den Matthias Meyer dem Betrachter anbietet, geht es in seinem Werk vor allem um das Ausloten malerischer Möglichkeiten. Sein Interesse am Barock, in dem die Lust an der optischen Täuschung mannigfaltige Ausprägungen erfahren hat, paart sich mit der Frage, an welcher Grenze sich Figuration und Abstraktion überschneiden und die Wahrnehmung zu kippen beginnt. Vor seine Architekturansichten legt er mitunter ein feines, geometrisches Liniengespinst, das man zunächst als Baugerüst identifizieren möchte. Es ist jedoch Bestandteil eines diffizil aufgebauten und mit den Dimensionen von Tiefenräumen spielenden, malerischen Moments, das einen letzten optischen Halt in den driftenden Bildern bietet.
Auch für seine neuesten Gemälde, die Titel wie „Seerosen“, „Lotus“ oder „Riff“ tragen, bilden fotografische Aufnahmen oder im Internet gefundene Bilder den Ausgangspunkt. Sie sind für Meyer wie Skizzen, von denen er sich in der malerischen Umsetzung allerdings weit entfernt. Im Gegensatz zu Monets Seerosenteichen, die einem unwillkürlich vor Augen stehen, geht es Meyer nicht um die Wiedergabe von Natur. Vielmehr spielt er, sich des historischen Ballastes wohl bewusst, mit dem Motiv spiegelnder Wasseroberflächen und dem Durchblick auf darunter Liegendes. Mitunter sind wir an Blicke in Aquarien mit ihrer künstlichen Pflanzenwelt erinnert oder an die Perspektiven von Tauchern. Da sich der Künstler fotografischer Vorlagen bedient, schaltet er gleichsam eine zweite Optik zwischen die unmittelbare Naturanschauung und seine Malerei.
Sind die früheren Arbeiten von Matthias Meyer eher von einem düsteren, schlammigen Farbton bestimmt, so hat sich in den letzten Jahren seine Palette aufgehellt. Vor allem die neuen Arbeiten, die sich mit dem Phänomen von Wasseroberflächen auseinander setzen, sind in pastelligen Farben mit vorherrschenden Blautönen gehalten. Die Farben sind dünn, tropfend und nass in nass vermalt, sodass die Konturen verschwimmen und man nicht mehr unterscheiden kann, wo sich die Grenzen zwischen vorgeblicher Realität und Spiegelbild befinden. Impulsiv entwickeln Pflanzen, Korallenriffe oder Fischschwärme in Meyers Bildern ein merkwürdiges Eigenleben. Doch auch sie sind wie die Architekturen nur motivischer Vorwand, um suggestive Gemälde entstehen zu lassen, die Prozesse von Formwerdung und deren Auflösung thematisieren. Vergleichbar dem Schwung und der Unmittelbarkeit japanischer Kalligrafien, deren filigrane Strichführung Motive umreißt, sie im selben Moment ins Nichts führt und wiederum neu entstehen lässt, bearbeitet Meyer seine großformatigen Leinwände. Aufgrund seiner Maltechnik, die von laufender Farbe und damit auch von Zufällen bestimmt ist, bleibt ihm wenig Spielraum zur Korrektur. Die in den Malereien thematisierte fließende und schillernde Oberfläche des Wassers erscheint wie eine Metapher, um über den Vorgang des Malens, die Beschaffenheit von Bildoberflächen und deren malerische Tiefe nachzudenken.
Beate Ermacora