Beim Betrachten der Malerei von Matthias Meyer fühlt man sich Schicht um Schicht in die Tiefe der Bildebenen gezogen. Immer Neues kann man in den zarten Farbabstufungen entdecken und muss doch feststellen, dass das, was man zu (er)kennen glaubt selten eindeutig ist. Die Frage nach dem tatsächlich Sichtbaren ist zentrales Thema in seinen Gemälden. Eigene fotografische Vorlagen und Bildmaterial aus dem Internet dienen ihm dabei als Inspiration und Erinnerung, von denen er sich im Malprozess jedoch wieder entfernt. Er schafft so Illusionen von Räumlichkeit, die auf der fotografischen Konstruktion des Raumes basieren, diesen Eindruck aber gleichzeitig zerstören. Der Prozess der Formwerdung und ihre Auflösung zieht sich durch alle Bildmotive. Dazu gehören Innenräume, Stadtansichten, Landschaften aus der Vogelperspektive sowie Blicke auf und unter Wasseroberflächen. Lake 8 (2008) zeigt beispielsweise einen See, aus dem vereinzelt Geäst zu ragen scheint. Trotz der mutmaßlichen Eindeutigkeit des Sujets und des Titels abstrahiert Meyer seine Vorlage weitestgehend. In der für ihn typischen lasierenden Maltechnik zeichnet sich die Arbeit durch dünnen Farbauftrag in mehreren Lagen und sich auflösende Konturen aus. Das kühle Nass des Sees scheint durch die Leinwand zu dringen und die Ölfarben in vertikaler und horizontaler Richtung verschwimmen zu lassen. Auf diese Weise untersucht der Künstler die Beschaffenheit von Bildoberflächen und deren malerische Tiefe.
Meyers Lake-Serie bildet den Übergang zu einem neuen Zyklus von Arbeiten, die sich durch die Überlagerung unterschiedlicher Motive in einem Bild auszeichnen. Unter den vermeintlichen Gewässern befinden sich vorwiegend konkrete Stadtansichten, die sich jedoch durch Übermalung und Verfremdung fast gänzlich auflösen. Der Künstler entfernt sich damit nicht nur von der fotografischen Vorlage und ihrer realen Verortung sondern auch von der ersten malerischen Übersetzung. So entsteht eine von Tiefenräumen dominierte Malerei, die meist nur in den unteren Bildschichten das realistische Original erkennen lässt.
Am ursprünglichen Motiv interessiert ihn insbesondere die Komposition und die Linienführung, die er in seine Arbeiten überträgt und mit fließenden Farben und Formen bedeckt. Columbus Circle (2009), Water Painting 6 (2009) oder Roofs (2009) liegen beispielsweise Blicke auf die Stadt New York zu Grunde. Meyers Wahl dieser Metropole hängt vor allem mit ihrem rasterhaften Aufbau und ihren vielen Höhenunterschieden zusammen. Die lineare Struktur und Rhythmik ist in den tieferen Bildschichten immer noch erkennbar. So wird bei Columbus Circle der Kreisverkehr in der Nähe des Central Parks zu konzentrischen Wellen. Water Painting 6 lässt noch die Fassaden der Gebäude jenseits des Broadways erahnen und bei Roofs schimmern subtil die Straßenschluchten durch, die sich de facto links und rechts vom Empire State Building befinden. Die ursprüngliche Vorlage ist so nicht nur formal abstrahiert sondern auch inhaltlich verfremdet. Das Durchschimmern von urbaner Architektur unterhalb der Wasseroberfläche lässt unweigerlich an versunkene Orte, wie das sagenumwobene Atlantis denken. Meyer geht es jedoch nicht so sehr um derlei inhaltliche Bezüge, sondern um den formalen Aufbau der Stadt, der sich in seiner Malerei mit den übereinander liegenden Farbschichten zu einem neuen, mehrdeutigen Bildraum verdichtet.
Aus den vielfachen Überlagerungen resultieren Werke von dunklerer Farbigkeit und geringerer Transparenz. In Columbus Circle oder Grünes Wasser (2010) werden entgegen der bisherigen lasierenden Vorgehensweise zusätzlich pastose „Flecken“ aufgetragen. Das Kolorit setzt der Künstler dennoch weiterhin sparsam ein und verzichtet fast vollständig auf Weiß. Sämtliches Licht im Bild dringt durch die helle Leinwand nach oben. Wie beim Abtauchen in die Tiefsee verschwimmen dabei die Details zu abstrakten Formen. Der oft erhöhte Standpunkt des Betrachters in vielen früheren Arbeiten weicht einer scheinbar unter der Wasseroberfläche liegenden Ansicht.
Auch bei der fotografischen Vorlage von View Down (2009) handelt es sich um einen Blick herab vom Empire State Building. Meyer abstrahiert hier allerdings nicht durch Übermalung, sondern lediglich durch die ungewöhnliche Perspektive und die zurückgenommene, helle Farbpalette. So zeigt sich das ursprüngliche Bildmotiv zwar deutlicher, es löst sich jedoch gleichzeitig in einem sparsamen Geflecht aus Linien und Flächen auf. Wie der Titel bereits suggeriert taucht der Betrachter auch hier gleichsam in die Tiefe hinab, wobei er von oben nach unten schaut.
Andere Arbeiten in der Ausstellung Into the Deep beruhen nicht auf Architekturansichten, sondern Fotografien von Naturlandschaften, auf die der Künstler bei Recherchen mit der Internet Software Google Earth gestoßen ist. Eine Arbeit davon ist Black Spur 2 (2009). Dabei handelt es sich um einen in Nebel getauchten Wald eines australischen Naturschutzgebietes. Die vielen hellen Farbtupfer erinnern an Luftblasen, die beim Abtauchen in die Tiefen des Wassers entstehen. Die Bäume werden zu Algen, die lichten Farbfelder zum einfallenden Sonnenlicht auf der Oberfläche. Auch hier lässt Matthias Meyer die konkrete fotografische Vorlage in seiner malerischen Übertragung mit der folgenden abstrakten Überarbeitung verschmelzen und den Blick des Betrachters in den Bildschichten versinken.
Susanne Köhler