Das Feste und das Flüssige

Agregatzustände in der Malerei von Matthias Meyer

Das die Welt flüchtig ist, der „Wandel das einzig wirklich beständige“, weil „alles fließt“ ist wohl eine Grunderfahrung der Menschheit. Neigt man eher zu einer konservativen Haltung könnte man mit dem Fürsten Guiseppe Tomasi di Lampedusa sagen: „Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt wie es ist“, nur das Sich-Ändern der Welt kann man nicht ändern. Die Bilder dagegen halten fest – im Moment ihres Entstehens halten sie fest an einer Wirklichkeit, wie sie einmal ist und dann sehr bald nur noch war. Sie halten sich an eine da seiende Wirklichkeit. Die Zeitform des Bildes ist die der „stehenden Gegenwart“, die sich gegen die Vergangenheit, aber damit auch gegen die Zukunft stemmt. Man hat die Bilder, Porträts etwa, oft hoch geschätzt, weil sie die dargestellte Person gegen den Tod, gegen die Vergänglichkeit im Bewusstsein des Betrachters halten. Das war und ist manchmal immer noch ein Ideal der Bilder, ein Ideal der Kunst.

Doch selbst die Ideale haben sich gewandelt. Dass man den Bildern gestattet, gerade das Flüchtige, Vergängliche, Nicht-Ewige zu zeigen, hat mit der modernen Zeit, mit der Moderne als geistesgeschichtlicher Epoche zu tun. Die Moderne ist gleichsam die „immer neue Zeit“ und der Rausch der Geschwindigkeit ihr epochemachendes Signum. Der rasche Fortschritt ist das Ziel. Die ersten, die dieses spezifisch moderne Lebensgefühl in Bilder bannten, waren die Impressionisten. Sie lösten ihre Malereien gleichsam in Bildflecken auf, die keine feste, gefügte Oberfläche mehr zeigen, sondern Erscheinungen des Lichts, das stets wechselt. Sie waren auch mit die Ersten, die die Großstadt als technisches Wunderwerk, die dampfenden Eisenbahnen und gespannten Stahlbrücken zeigten, aber auch die Einsamkeit des modernen Individuums. Damals, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, war die Moderne noch jung.

Nun ist die Moderne in die Jahre gekommen. Und ein junger Maler, Matthias Meyer, malt wiederum die modernen Themen – die Großstadt, die technischen Bauwerke, die damit lebenden Menschen. Seine Palette ist von großen Hell-Dunkel-Kontrasten bestimmt, die Buntfarben oft pastellig, fast französisch – Rosa, Blau, Violett, Petrol, dazu zahlreiche Braun- und Sandnuancen. Und auch Meyer gibt nicht die Festigkeit materieller Oberflächen wieder. Die Welt seiner Bilder scheint eher flüssig zu sein, oder vielmehr gerade geronnen wie ein Blick in den magischen Fernseher einer lebendigen Wasseroberfläche. Alles erscheint still und zugleich von einer unerklärlichen Unruhe bewegt, als ob es uns merkwürdig träumte. Der Maler legt diese stille Erregtheit in die Art und Weise seines Farbauftrags: eher wie Tinten denn wie Öl lässt Matthias Meyer seine Farben ganz dünn aufgetragen laufen. In seinen Werken ist die herunterlaufende Farbe kein bloßes Motiv in einer ansonsten ganz anderen Malerei, sondern aus diesen Verlaufspuren entsteht das Gewebe des Bildes. In der Tat dreht der Künstler während des Malens seinen Bildträger gezielt in 90˚-Winkeln, so dass die laufende Farbe parallel zu den Bildgrenzen sowohl senkrecht als auch waagerecht ihre Ausläufer bildet. Wie Wurzeln mit ihren Wurzelfasern klammern sich diese Ausläufer entlang der zwei Raumdimensionen der Bildfläche, als ob diese Erscheinung von Wirklichkeit verankert und genährt werden müsste. Sich sogar manchmal überkreuzend geben sie einen Reflex der Bauten, die so oft in Meyers Bildern auftaucht, indem sie die Grundkoordinaten des gebauten Raumes und das Raster moderner Fensterfassaden wiederholen, ohne allerdings das Stadium des statisch fest Gefügten von Architekturen zu erreichen. Es gibt eine unerfüllte Sehnsucht nach Manifestation in diesen Bildern. In dickeren Ölpartien wirkt die Realität dieser Bilder aber auch wie in einer schnellen seitlichen Wegbewegung verwischt – nur mühsam festgehalten, nur gerade noch und nicht mehr ganz erwischt. Das moderne Leben ist schnell geworden und man muss ganz ruhig schauen, um zu sehen, dass es droht, in eine Zukunft zu entschwinden, deren Möglichkeit einzutreffen immer geringer wird. Gerade die Jungen spüren, dass der alte Traum der Moderne dabei zurück bleibt. Was kommt, wenn unsere Bilder nicht mehr festhalten? Matthias Meyer arbeitet als Maler. Ganz offensichtlich brauchen wir das Sehen unserer Künstler mehr denn je.

Daniel Spanke

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